Community-Building für Einsteiger
Seit einigen Jahren fester Bestandteil des digitalen Marketing-Mix: die unternehmenseigene Online Community.
Egal ob Facebook Fanpage, Service-Forum oder spezielle Community-Lösung – immer geht es darum, direkten Dialog mit dem Kunden zu pflegen bzw. vom Dialog zwischen den Kunden zu lernen.
Eine Community lebt von der Aktivität Ihrer Mitglieder. Leider zeigt die Erfahrung, dass nur ein sehr kleiner Teil der Mitglieder willens und fähig ist, eigene Inhalte (Text, Bild, Video) zu kreieren und der Community zur Verfügung zu stellen.
In most online communities, 90% of users are lurkers who never contribute, 9% of users contribute a little, and 1% of users account for almost all the action. (Jakob Nielsen, 2006)
Strukturmodell
Bereits in den 90er Jahren beschreiben verschiedene Autoren eine sogenannte „90-9-1 Regel“, nach der sich die Mitglieder einer typischen Community wie folgt verteilen:
- 1% Creators
Schöpfer sind die absolute Minderheit – jedoch hyperaktiv und damit verantwortlich für ca. 90% aller Beiträge. - 9% Commentators
Kommentatoren beteiligen sich nur sporadisch am Geschehen, meist in Form von Kommentaren als Reaktion auf Posts anderer Mitglieder. - 90% Lurkers
Beobachter bzw. Zuhörer bilden die große passive Mehrheit der Community-Mitglieder, die praktisch ausschließlich lesen und beobachten.
Nach Nielsen ist auf den heute aktuellen Social Media Plattformen inzwischen sogar von einer deutlich extremeren Relationen von „99-1-0,1“ auszugehen.
Aus meiner Sicht ist die „90-9-1 Regel“ ein valider Ansatz, um die Funktionsweise einer Community grundsätzlich zu verstehen und Handlungsoptionen für den Betreiber abzuleiten. Übergeordnetes Marketing-Ziel wird in den meisten Fällen sein, durch geeignete Maßnahmen die Relationen in Richtung 80-15-5 zu verschieben, also den Anteil aktiver Community-Mitglieder zu erhöhen.
Im Sinne einer ganzheitlichen Betrachtung empfiehlt es sich, die Pyramide nach unten zu erweitern um:
- Strangers
Unbekannte Visitors der Website, die sich noch nicht in der Community registriert haben. Wir kennen i.d.R. nur Ihre IP-Adresse. - Target Audience
Per Definition die Gesamtheit aller Verbraucher, die wir uns als Kunden und Community-Mitglieder wünschen.
Handlungsempfehlungen
Dem pyramidalen Struktur-Ansatz zufolge gilt es also, möglichst viele User von der Basis hin zur Pyramiden-Spitze zu “entwickeln”. In der praktischen Konsequenz ergeben sich daraus vier wesentliche Handlungsfelder (Nummerierung entspricht Grafik) mit jeweils ganz konkreten Handlungsempfehlungen:
1. Lead
Promotion-Maßnahmen, die unsere Zielgruppe informieren und zur Community-Website bringen. Grundvoraussetzung ist eine:
- Klare Positionierung und Abgrenzung der Community
Beispiel: Hier geht es ausschließlich um „VW Käfer Restaurierung“ und nicht um „Handel mit gebrauchten VW Golf“. In der Praxis einer Unternehmens-Community stellt sich bspw. immer wieder die Frage, in welchem Umfang in der Community Service & Support geleistet werden kann. Dies ist frühzeitig zu klären, zu kommunizieren und auch in der Personalausstattung des Redaktionsteams abzubilden.
2. Registrierung
Angebotskommunikation, die es schafft, den Nutzer über die Hürde der Registrierung zu bringen. Empfehlungen sind:
- Klare Herausarbeitung von Benefit und Reason to Believe
- Abgrenzung zu konkurrierenden Communities durch möglichst exklusive Inhalte und Vorteile
- Demo oder Test-Zugang, alternativ zumindest teilweise öffentliche Inhalte
- Klare Data-Policy sowie Abfrage nur der notwendigsten Daten bei Registrierung
3. Aktivierung
Maßnahmen, die aus einem passiven Beobachter und Zuhörer einen aktiven Gesprächsteilnehmer machen, bspw.:
- Begrüßung neuer Mitglieder
- Herausstellen von Mitgliedern, die ihren ersten Beitrag verfasst haben
- Ermittlung und (Re-)Aktivierung inaktiver Mitglieder durch besondere Incentives
- Bitte um Feedback und Diskussion bei praktischem jedem Post
- Funktionalitäten anbieten, die das Erstellen von Inhalten möglichst einfach machen. Beispielsweise:
– CoCreation über aktive Votings und Ratings (die Summe vieler Einzelklicks erzeugt neuen Content)
– CoCreation über passives Auswerten von Nutzungsverhalten/Pageviews (kollaboratives Filtern, siehe auch “read wear”-Effekt von Will Hill)
– Vereinfachung der Kreation durch Bereitstellung fertiger Temples (bspw. Avatare, o.ä.)
4. Entwicklung
Graduelle Weiterentwicklung von Community-Mitgliedern durch:
- Incentivieren von Beiträgen, u.a. durch Lob, Status-Upgrades (User-Rang, Punkte) sowie virtuelle (z.B. Badges) oder reale Belohnungen
- Call to Action, wie bspw. Aufruf zur Bestellung von Newslettern oder Test-Produkten
- Beförderung aktiver Mitglieder, bspw. zu Moderatoren o.ä.
- Qualität > Quantität, Einführung entspr. Abfragen auf Post-Niveau (Beispiel: Wie hilfreich fanden Sie diesen Beitrag?)
Grundregeln
Zusätzlich profitiert eine Community vom Einhalten folgender Hygiene-Regeln, die eine Selbstverständlich sein sollten und hier nur der Vollständigkeit halber gelistet werden:
- Gute User Experience
Hier geht es um den perfekten Dreiklang aus Usability (inkl. Informations-Architektur, Frontend-Design und Code), Relevanz sowie Joy of Use. - Kurze Reaktionszeit
User-Fragen sollten in aller Regel innerhalb von 24 Stunden beantwortet werden. Sollte die Beschaffung notwendiger Fach-Infos mal länger dauern, ist dies dem User vorweg mitzuteilen. - Hohe Aktualität
2 neue Posts die Woche halte ich für das Minimum. Es empfiehlt sich der Einsatz eines Redaktionsplans, um Frequenz und Inhalte-Mix zu planen und zu kontrollieren. - Authentizität
Ich empfehle, die realen Menschen hinter der Marke zu zeigen. Tonality der Posts: Umgangston und Ich-Form. - Klare Regeln
Community-Regeln am besten deutlich verlinken und von den Moderatoren auch umsetzen lassen. Zensur ist ein no-go. Allerdings darf Spam und ausfälliges Benehmen auch nicht tolleriert werden.
Dies sind meine Erfahrungen und Empfehlungen aus verschiedenen Community Projekten der letzten Jahre (u.a. HP, T-Online und Commerzbank).
Ich hoffe, Sie können einige Anregungen in Ihrer täglichen Arbeit verwerten.
Quellen und Verweise:
1) Jakob Nielsen’s Alertbox, 2006, “Participation Inequality: Encouraging More Users to Contribute”
2) William C. Hill, James D. Hollan, Dave Wroblewski, and Tim McCandless (1992): “Edit wear and read wear,” Proceedings of CHI’92, the SIGCHI Conference on Human Factors in Computing Systems (Monterey, CA, 3.-7. Mai, 1992), Seite 3-9.